Mittwoch, 18. April 2018

Der Großinquisitor, Teil 3

Es ging ein leichter Luftzug modriger Kellerluft, die Kerzen flackerten und warfen ihre Schatten unruhig auf das erschöpfte Gesicht des Großinquisitors. Obwohl er zu frösteln schien in seiner dicken braunen Kutte, hatte er Schweißtropfen auf der Stirn und wischte er sich mit der Hand über sein Gesicht. Er ging zu dem Tisch, vor dem ein Hocker stand, ließ sich darauf fallen, als hätte er die Kraft nicht mehr, sich aufrecht zu halten, und stellte den Leuchter auf den Tisch. Man konnte seinen Atem hören und das Rasseln, als seien seine Lungen verschleimt und fehlte ihm die Kraft zum Husten. Er versuchte es, aber es war nur ein mühseliges, scheiterndes Aufbegehren seiner Lungen.

Nach einigen Minuten richtete er seinen Blick mit geröteten, glasigen Augen wieder auf ihn:

"Als ich ein kleiner Junge war, habe ich Dich aus ganzem Herzen geliebt. Nichts schien mir schöner, als Dich zu lieben, Dich und meine Mutter, Respekt zu haben vor Gott und meinem Vater. Ich stand mit mir in Einklang und das Leben war mir ein Wunder. Kein Unglück, das mich länger hätte betrüben können. Ich las täglich die Evangelien und lernte viele Kapitel auswendig, ohne ihre Tiefe zu begreifen zwar, aber mich daran berauschend, dass sie bedeutsam und ich mit meinem Herzen vorzutragen wusste. Die Erwachsenen, meine Lehrer, alle liebten mich dafür und lobten, legten ihre Hand auf meinen Kopf. Nie fehlte mir Geld für Obst und Backwaren bei den Händlern, wie es mir beliebte. Oft schenkte ich meinen Freunden davon.

Dann aber lag ich eines Nachts im Bett und begann über die Worte nachzudenken.  "Amen, ich sage euch: Von denen, die hier stehen, werden einige den Tod nicht schmecken, bis sie den Menschensohn in seinem Reich kommen sehen." hattest Du gesagt! Du hattest Dein baldiges Wiederkommen versprochen. Mehrfach!

Das stimmt doch nicht, dachte ich zum ersten Mal, als ich zwölf Jahre alt und mit diesem: "Das stimmt doch nicht", war mein Glück wie das an einer schön gefärbten Kugel aus Glas zerplatzt!

Seitdem hielt ich mich stattdessen fest an Deinem Satz: "Wenn einer mir folgen will, verleugne er sich, nehme sein Kreuz und folge mir nach. Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden." Ich hielt mich daran fest, war aber nicht mehr glücklich!"

Der Großinquisitor, Herr über Leben und Tod, der hunderte in die Flammen geschickt, schluchzte auf und Tränen rannen über sein Gesicht, dann fing er sich und fuhr fort, mit brüchiger Stimme, klagend und trotzend:

"Ich habe das Kreuz auf mich genommen und wurde Sevillas Großinquisitor, vor dem selbst der König zittern muss. Du wolltest die Menschen befreien, doch hast Du heute mit Deinen eigenen Augen gesehen, was die Menschen mit ihrer Freiheit gemacht: Sie haben sie mir zu Füßen gelegt, damit ich ihnen sage: Ja, ich nehme im Namen des Herrn die Last der Sünden von euch, auf dass ihr eingeht, rein und selig in das Reich des göttlichen, ewigen Lebens.

Sie geben ihre Freiheit auf, damit ich sie mit einer Lüge glücklich mache."

Er versuchte seine Stimme zu empören, aber ein Hustenanfall hielt ihn ab. Als er sich erholt, wiederholte er "Mit einer Lüge, mit einer Lüge!"  


"Nichts war für die Menschen unerträglicher als die Freiheit, sich eigenverantwortlich zu entscheiden für das Gute oder das Schlechte. Als der Geist in der Wüste Dir anbot, Steine in Brot zu verwandeln, um auf diese Weise Dir die Menschheit zur Herde zu machen, lehntest Du ab. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, antwortetest Du. 

Und dennoch betete ich als Knabe mehrmals täglich: Vater unser im Himmel: gib uns unser täglich Brot.

Wusstest Du, dass die Kirche nach hunderten von Jahren einstimmen würde in den Ruf:

Es gibt keine Verbrechen, keine Sünde, es gibt allein die Hunrigen. Mache sie erst satt und verlange dann von ihnen Tugend.

Wer kein Dach über dem Kopf, nicht weiß, wo seine Notdurft verrichten, wer vor Einsamkeit schreien und weinen möchte, wer von Schmerzen übermannt, der hat ein Recht, dass ihm geholfen wird, dann erst hast Du Sohn Gottes das Recht, Tugend einzufordern.

Du bist Gottes Sohn und Menschensohn, aber was wusstest Du vom Hungernden, der kaum noch Kraft, die Fliegen von seinen Augen fortzujagen, wenn man ihm ein Stück duftenden Brotes vor die Nase hält. 

Du sagtest Nein, es gäbe wichtigeres, die Menschen aber können nicht anders, als sich von Deiner Moral abzuwenden, um das Stück Brot zu ergreifen und zu verschlingen.

Und darum braucht es mich, der ich ihre Sünden sehe, sie von ihnen nehme und das Himmelreich dafür verspreche, wenn sie tun, was ich ihnen auftrage. Sie sollen das Brot essen, dafür aber Steine schleppen, zur größeren Ehre Gottes und für mich!

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